Streitkultur – wie Gewitter die Luft reinigen

von Susanne Schneider

Habt Ihr Euch eigentlich auch schon mal gefragt, warum ein Kinofilm meist nach dem ersten Kuss des Paares endet? Eine Theorie ist: Weil niemand sehen möchte, wie es die nächsten zehn oder zwanzig Jahre weitergeht. „Alltag“ heißt das Schreckgespenst in jeder Beziehung. Man kann schließlich nicht immer gemeinsam Champagner trinken. Irgendwann muss jemand die Flaschen zum Glascontainer bringen. Spätestens dann sind wir im Alltag angekommen und nehmen Platz im Vorwurfs-Karussell: „Warum trägst Du nicht mal den Müll raus?“ „Bist Du mal wieder genervt?“ „Musst Du immer so rasen?“ „Ständig lässt Du Deine Socken herumliegen.“ Das Vorwurfs-Karussell kann sich drehen, bis einem ganz schwindelig wird. Und was wir früher an unserem Partner charmant fanden („Er ist einfach total spontan.“) ist nach einiger Zeit nur noch anstrengend („Er ist einfach total chaotisch.“). Streit ist bei einer solchen Entwicklung vorprogrammiert.

Oft verschanzen sich die Partner jahrelang in einem Stellungskrieg. Die Streit-Themen sind dabei immer wieder die Gleichen. Längst sind alle Argumente ausgetauscht und trotzdem gibt es an der Front keine Ruhe. Gerade langjährige Paare wissen, wie sie den Partner so richtig auf die Palme bringen können. Alternativ gibt es die Beziehungen, in denen sich Mann und Frau nach einigen Jahren gar nichts mehr zu sagen haben. Gut ist wohl weder das eine noch das andere.

Da sich Streit ohnehin nicht vermeiden lässt, ist es lohnend, einen Blick auf eine gute Streitkultur zu werfen. Schließlich kann ein guter Streit extrem wertvoll für eine Beziehung sein. „Er ist Ventil für Unmut und zeigt viel von der Persönlichkeit des Partners“, sagen Kommunikationsexperten.

Wer richtig streitet bringt die Beziehung weiter

Dies in der Praxis zu berücksichtigen, ist aber gar nicht so einfach. Denn wer von einem Streit überrumpelt wird, ist meist selbst zu dünnhäutig, um beim Partner psychologisch in die Tiefe zu gehen. „Was fehlt Dir denn? Was willst Du mir mit Deinem Vorwurf eigentlich sagen?“ Nein Danke. Wenn wir Frauen mit spitzen Bemerkungen angepikst werden, fühlen wir uns häufig als „Angriffsopfer“. Wir feuern zurück, weshalb es bei vielen Streitgesprächen zu verbalen Entgleisungen kommt. Manchmal werden wir fies zu unserem Partner und laut. Und wahrscheinlich geht es uns dabei nicht anders, als den meisten Paaren. Psychologen raten an diesem Punkt übrigens zu einer Pause, die den Streitenden Zeit gibt, sich abzukühlen.

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Es gibt noch einen anderen Tipp, der ein wenig an die Kindergartenzeit erinnert: Streitregeln vereinbaren. Und zwar nicht erst, wenn die Stimmung am Boden ist, sondern in einer ruhigen Minute. Es gilt, schon in „guten Zeiten“ einen „Streit-Vertrag“ zu formulieren, in dem steht, dass zum Beispiel Beschimpfungen oder wüste Verallgemeinerungen tabu sind. Oder dass ein Partner einen Streit bewusst abbrechen darf, wenn er oder sie das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten. Wenn man im Streit gerade zum dritten Mal das gleiche erklärt, ist es vielleicht wirklich zielführender, das Thema zu vertagen. Interessant ist auch der Hinweis, die Streit-Zeit auf maximal 20 Minuten zu begrenzen, um nicht stundenlang um ein Thema zu kreisen. So geht innovatives Zeitmanagement.

Was häufig am besten hilft, ist die Streit-Pause. Statt auf die Eskalation zuzusteuern, einfach raus und ablenken. Zum Beispiel mit joggen gehen oder lauter Musik. Auch Staubsaugen wirkt Wunder. Viele Frauen kommen haushaltsmäßig besonders gut voran, wenn sie richtig geladen sind. Das Gute an dieser Taktik: Wer sich an anderen Dingen austobt, gewinnt Zeit, den Stresshormon-Pegel zu senken. Mit neuer innerer Kraft können in der nächsten Diskussionsrunde auf diese Weise die wahren Probleme besprochen werden.

Und seien wir doch mal ehrlich. Der Satz „Immer lässt Du Deine Socken herumliegen!“ kann nicht wirklich der Beziehungskiller sein. Wahrscheinlich liegt der Kern der Aufregung ganz woanders. Zum Beispiel darin, dass beide Partner viel arbeiten und sich überlastet fühlen. In Wahrheit geht es beiden dann nicht um die Socken, sondern darum, dass Hilferufe nach Unterstützung nicht wahrgenommen werden. Ein guter Zeitpunkt, um konstruktive Lösungen zu erarbeiten, ist daher sicher nicht abends, wenn beide todmüde sind, sondern lieber bei einem gemeinsamen Essen oder Spaziergang. Das kann jede von uns beim nächsten Streit ausprobieren.

By the way:

Überlegt mal beim nächsten Streit, mit welcher Einstellung Ihr in das Konfliktgespräch geht: Ist der Partner der Gegner, den Ihr von Euren Argumenten überzeugen möchtet, oder ein Verbündeter, mit dem Ihr gemeinsam an einer Lösung arbeitet? Finde hier weitere Tipps für Deine Beziehung.

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